Gestern wurde der 74-jährige, herzkranke kurdische Politiker Ahmet Türk inhaftiert. Zuvor hatte der türkische Innenminister ihn und die Co-Bürgermeisterin von Mardin abgesetzt. An ihrer Stelle leitet nun ein von der Regierung eingesetzter “Treuhänder” die Stadt. Seit Januar 2016 wirft die Staatsanwaltschaft Ahmet Türk Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, Propaganda für eine bewaffnete Terrororganisation und Opposition gegen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht vor. Das sind derzeit die üblichen Vorwürfe gegen einen kurdischen Oppositionspolitiker in der Türkei. Ihm droht eine Strafe zwischen 7 und 18 Jahren Gefängnis. Ahmet Türk ging nach der Ermordung seines älteren Bruders in die Politik und gehörte jahrzehntelang dem türkischen Parlament sowohl für prokurdische als auch für nicht dezidiert kurdische, sozialdemokratische Parteien an. Er leitete den Menschenrechtsausschuss des türkischen Parlaments und war eine Zeit lang auch Parteivorsitzender. Er galt als sehr erfahrener und eher gemäßigter Politiker, als jemand der vielleicht einen türkisch-kurdischen Kompromiss hätte brokern können, wenn das auch im Interesse anderer Politiker auf beiden Seiten gelegen hätte. Ahmet Türk wurde bereits nach dem Militärputsch 1980 als sozialdemokratischer Abgeordneter für zwei Jahre inhaftiert und dabei auch gefoltert. 1994 wurde er zusammen mit anderen kurdischen Politikern in den Räumen des Parlaments verhaftet und verbrachte erneut zwei Jahre im Gefängnis. Damals wie heute wollte man das Kurdenproblem in der Türkei als reines Terrorismusproblem sehen, das verschwindet, wenn man kurdische Politiker wie Ahmet Türk wegsperrt. Das dieser Nachricht beigegebene Interview gab Ahmet Türk Anfang Oktober 2015. Wir saßen in der Dunkelheit der längst hereingebrochenen Nacht in einem Garten über den Dächern der Altstadt von Mardin. Außerhalb des Gartens war aber genug Licht um in der Ferne bis nach Syrien zu sehen, bzw. dorthin wo sonst Syrien war und nun das kurdische Rojava lag. In den Gesprächen davor beim Wein hatte Türk angesichts der zunehmenden Kämpfe auch in der Türkei und der immer unverhohlener alle demokratischen Spielregeln aushebelnde Repression resigniert gewirkt. Wenn er auch am Ende des Interviews versuchte, ein wenig Zweckoptimismus zu verbreiten, so hatte der Pessimist in ihm doch leider völlig recht. Der türkische Journalist Aydin Engin, eben erst selbst nur knapp der Inhaftierung als Kolumnist entgangen, schrieb auf die Nachricht von Ahmet Türks Verhaftung, in einem offenen Brief: “Lieber Ahmet, ich war voll Schmerz als ich die Nachricht gehört habe. Nein, nicht wegen Dir. Ich war gefüllt von Schmerz, wegen der Notlage, in die mein Land gefallen ist (…) Ich weiß, Du zierst Dich nicht mit Deinen Worten in der kurdischen politischen Bewegung und Du hast die Ablehnung von Gewalt wirklich angenommen. Ich weiß nichtmehr, wie oft wir das erfahren haben (…) und du bist in Haft.”